Tag 3 Gelting bis Schwartbuck – Fische putzen verboten

Tag 3 Gelting bis Schwartbuck – Fische putzen verboten

26. August 2019 0 Von Manuela

Zunächst gilt es die 10 Kilometer bis Kappeln zu fahren, da wollten wir ja schon gestern gewesen sein. Der Weg führt über kaum befahrene Landstraßen durch kleine Dörfer. Es ist Sonntagmorgen und es sind kaum Menschen unterwegs. Friedlich und glücklich fahren wir nebeneinander her.

Ein Mann, der sicher schon über 80 ist, hantiert mit einer riesigen Heckenschere herum. Es sieht so aus, als sollte er das lieber nicht tun, denn er wirkt klapprig und unbeholfen. Aber wer sollte ihm das verbieten? Das Haus vor dem die Hecke steht, wirkt leicht verwahrlost. Wahrscheinlich lebt er alleine, stelle ich mir vor.

Wohin mit uns?

Das ist der richtige Moment, von unserer geheime Mission zu berichten. Es gibt nämlich außer Radfahren noch einen Grund, warum wir an der Ostsee unterwegs sind. Ursprünglich war für dieses Jahr eine Radtour von Ost nach West geplant, nachdem ich letztes Jahr von Nord nach Süd gefahren bin. Doch es gibt Dringenderes.

Wir sind auf der Suche nach einem neuen Zuhause und das soll möglichst am Meer sein. Die Kinder sind letztes Jahr ausgezogen und seit Anfang des Jahres steht fest, dass wir nicht in dem großen Haus alt werden wollen. Lieber soll dort eine Familie mit kleinen Kindern einziehen und wir müssen nicht sperrigen Heckenscheren herum hantieren, wenn wir zu alt dafür sind.

Einige Wohnungen haben wir uns schon angeguckt, doch bis jetzt hat uns keine gefallen. Die bisherigen Besichtigungen an der Nordsee und in Stralsund und Lübeck waren irgendwie aufwändig und nicht sonderlich effektiv. Wir kennen bis jetzt kaum eine Stadt an der Ostsee und wissen auch nicht, wo es uns gefallen könnte. Genau das wird sich mit dieser Tour ändern.

Wenn möglich, wollen wir sogar schon unsere neue Wohnung finden. Zwar stelle ich fest, dass das Radfahren ziemlich viel Aufmerksamkeit braucht. Außerdem sind wir sowieso schon ständig auf der Suche, entweder nach dem Weg oder nach einer Unterkunft. Mal sehen wieviel Suchkapazität uns noch für die Wohnung bleibt…

Auf jeden Fall werden wir alle Orte, die uns interessieren mit dem Rad erkunden. So gewinnen wir nebenbei einen ersten Eindruck und finden heraus, wo es uns gefallen könnte. Das ist doch schonmal was.

Lohnt sich Kappeln?

Wir erreichen einen Kreisverkehr mit dem Ortseingangsschild von Kappeln. Es gibt ein Schild, dass Richtung Innenstadt und Zentrum weist und eines in die entgegengesetzte Richtung Ostseeradweg.

„Lohnt es sich, in die Innenstadt zu fahren?“ frage ich einen etwa 15jährigen Jungen, der gerade seinen Hund spazieren führt.
Er scheint kurz zu überlegen, sagt dann aber Ja.
Seine Gesichtsfarbe wechselt von blaß zu gut durchblutet. Schnell wendet er sich ab und geht weiter. Die Frage ist ja auch komisch. Aber wenn schon ein junger Mensch sagt, dass es sich lohnt, dann sollten wir uns Kappeln mal genauer angucken.

Ich selbst war hier schon mal vor über 30 Jahren mit zwei Freundinnen zum Zelten. Das Wetter war schrecklich, es regnete das ganze Wochenende. Das Zelt stand im Garten des Onkels meiner Freundin auf einer nassen Wiese. Der Ausblick auf die Kuhweide und ein paar Sträucher war nicht sonderlich beeindruckend. Mal sehen, was ich damals alles verpasst habe.

Auch heute regnet es. Das macht keine Stadt schöner. Der Marktplatz ist historisch und mit Kopfsteinpflaster und alten Häusern wirklich sehr schön. Der Regen wird immer stärker, es wird kühl und nass. Hektisch suchen wir nach der Regenkleidung, die natürlich ganz unten in der Satteltasche steckt, die ich als zweites durchwühle.

Eine Pause kommt heute nach 10 Kilometern definitiv nicht in Frage. Auf dem Marktplatz stehen und einfach nass zu werden ist auch keine Option. Und so sehe ich wieder nicht viel von Kappeln. Bestimmt ist es ein schöner Ort, berühmt für die Klappbrücke und seine Mühle. Doch es ist klar, wir werden keine Freunde, dieser Ort und ich.

Kappeln
Schönes Kappeln… mal wieder verpasst!
Klappbrücke bei Kappeln
Klappbrücke bei Lindau… auch irgendwie schön

Die mobile Sauna

Der Schweiß läuft! Ich fühle mich wie in einer mobilen Sauna. Allerdings ohne Aufguss, denn kalt ist mir trotzdem. Wer hat bloß diese Regenkleidung erfunden? Ist es etwa besser vom eigenen Schweiß nass zu werden als vom Regen?
„Halt mal an!“ rufe ich Matthias zu. „Ich muss mich umziehen, das ist ja nicht zum Aushalten!“

Raus aus der fiesen Regenkleidung und rein in den Badeanzug! Wobei es für letzteres auf dem Fahrrad dann doch zu kalt ist. Außerdem habe ich noch keinen Badeanzug mit Radpolster gefunden. Die ganz normale Radkleidung tut es auch. Jedenfalls werde ich die Regenkleidung nur noch einmal zum Trocknen auspacken und dann nicht wieder! Ist das jetzt die Atmungsaktivitätslüge oder muss ich dafür nur mehr Geld ausgeben?

Cantienica Radfahren

Der Regen lässt nach und wir fahren an der wunderschönen Schlei entlang. Jetzt ist es endlich da, das echte Radtourfeeling. Mein Fahrrad und ich sind eins. Von vorne kommt nur der Fahrtwind, die Landschaft ist traumhaft. Die Hügel sind so flach, wie man sie hier im Norden erwartet.

Ich erinnere mich an das Cantienica Lauftraining vom Anfang des Jahres. „Tu so als würdest du die Eier hochziehen“ rief mir die Trainerin hinterher, als wir Teilnehmerinnen eine Runde „Schaulaufen“ durch die Hasenheide rannten. Das tue ich jetzt auch. Damit wird der Beckenboden aktiviert und alles wird leichter.

Über Cantienica und Radfahren habe ich im Netz nichts gefunden. Wenn ich mir was wünschen darf, dann ist es ein Buch dazu. Bis dahin übe ich erstmal ohne konkrete Anleitung vor mich hin. Ich ziehe die imaginären Bänder, die mich in die richtige Haltung bringen sollen vom Hinterkopf nach oben und vorne, vom Steißbein nach hinten und unten und von den Kniescheiben nach vorne und bei jedem Tritt ein bisschen nach oben.

Damit sitze ich nur leicht nach vorne gebeugt mit geradem Rücken und nutze die Fliehkraft, indem ich aus Knöchel, Knie und Hüfte ein Perpetuum mobile mache. Das kann ja bekanntermaßen nicht anders als sich immer weiter zu bewegen. All das natürlich mit hochgezogenen „Eiern“, damit der Beckenboden aktiv ist. Klappt super!

Lieblingsort – Bäckerei

Bei Lindau finden wir eine klapprige Klappbrücke und überqueren wir die Schlei. Wir bewegen uns nun zielstrebig in Richtung Eckernförde. Jetzt ziehen wir durch. Wir sind im totalen Radfahrflow. Es geht gut voran und macht große Freude. 38 Kilometer später sind wir auch schon in Eckernförde und machen die erste (!) Pause des Tages. Auch die Ostsee ist endlich wieder zu sehen.

Eine Bäckerei am Hafen lockt uns an. Wir sind so hungrig, dass wir gleich zwei Stück Kuchen bestellen und als die aufgegessen sind gleich noch eins für jeden. Es ist voll hier. Wir sitzen am Tisch mit Blick auf den Hafen und den Verkaufstresen. So gefällt mir das. Ich kann Menschen beobachten UND auf’s Wasser gucken. Genial.

Die Frau hinterm Tresen ist sicher schon Ende 50, sehr schlank und extrem geschminkt. Wie ein Roboter sagt sie den immer gleichen Satz:
„Was darf es denn sein?“. Die Antworten sind inhaltlich ähnlich eintönig. Es geht um Brot, Kuchen oder Brötchen. Doch die Art und Weise ist vielfältiger. Da ist alles dabei, von grantig über unsicher und genuschelt bis hyperfreundlich und gut gelaunt kumpelhaft.

Kurios wird es, als ich nach dem Toilettenschlüssel frage.
„Die Toiletten sind links durch die Glastür. Aber Fische putzen ist verboten,“ sagt die Verkäuferin.
Häh, denke ich und nehme den Schlüssel vorsichtig entgegen. Ob sie jetzt verrückt geworden ist? Doch dann sehe ich den Zettel an der Glastür. Da steht schwarz auf weiß: „Fische putzen verboten!“

Ich erwarte Schreckliches als ich den Toilettenraum betrete. Aber es ist alles ganz normal. Waschbecken, Handtuchhalter und Klotüren hinter denen sich Toiletten befinden. Auch die Frau, die gerade am Waschbecken steht, wäscht sich einfach nur die Hände.

Zurück in der Bäckerei frage ich nach.
„Das Schild ist für die Angler, die sich dort teilweise stundenlang aufhalten und die geangelte Beute putzen. Sie verstopfen das Waschbecken und es stinkt schrecklich“ sagt die Verkäuferin.
Da muss man aber auch erstmal drauf kommen!

Eckernförde
Die armen Tiere!

So habe ich mir das vorgestellt

Gestärkt geht es weiter auf dem Ostseeradweg. Ja, wir haben ihn wieder. Und damit er uns nicht wieder abhanden kommt, wird jetzt immer nur der nächste Ort an der Küste in die App eingetippt. Das scheint mir eine gute Idee zu sein, bis Komoot auch Radwege programmiert hat.

Es klappt auch tatsächlich. Die Ostsee bleibt die nächsten Kilometer brav an unserer linken Seite. Das ist immer noch Wetter recht kühl, obwohl im restlichen Deutschland gerade die Hitzewelle zuschlägt. Wir tragen Jacken und lange Hosen ohne zu schwitzen, der Regen hat allerdings aufgehört.

Weil wir keine Lust auf Stadt haben, entscheiden wir uns für die Fähre rüber nach Laboe und umgehen Kiel. Ohne große Diskussion ist uns klar, dass Kiel nicht der Ort ist, an dem wir in Zukunft leben wollen. Wir waren zwar noch nie da, aber es zieht uns auch nichts hin. Keine Ahnung warum nicht.

Kurz vor dem Fähranleger gibt es noch eine Pizza bei „Ute im Bikini“, so heißt das Lokal. Ich zücke das Handy und mache mich erstmal auf die Suche nach unserer heutigen Unterkunft. Obwohl es schon 17:30 Uhr ist, trauen wir uns noch ein paar Kilometer zu. Es läuft einfach gerade super. Wieder sieht es nicht so einfach aus. Direkt an der Küste ist nichts zu finden. Aber etwas weiter im Inland auf der anderen Seite der Kieler Bucht in Schwartbuck finde ich ein Zimmer.

Wenn jetzt auch noch die Pizza käme, wäre alles perfekt. Aber es dauert. Ich frage nach. Der Pizzabäcker brüllt etwas Unverständliches aus der Küche. Das junge Mädchen hinterm Tresen hat es wohl verstanden.
„Es dauert noch“ sagt sie.
„Wir sind nervös, weil die Fähre gleich kommt“ sage ich.
Sie dreht sich nochmal zum Koch um. Der steckt seinen hochroten Kopf durch die Durchreiche.
„Ja Mann, ich mach ja schon“ schnauzt er uns an.
Ist zwar gerade kein Mann zu sehen aber immerhin hat er nicht ‚Alter‘ gesagt.
Irgendwann steht die Pizza dann doch noch dampfend vor uns auf dem Tisch. Wir haben 10 Minuten Zeit, sie zu essen. Mir gelingt es. Matthias lässt sich den Rest einpacken.
Ich sag ja, ich bin schneller als er!

Fähre nach Laboe
Fähre nach Laboe

Radweg neben den Dünen

Wir erreichen pünktlich den Fähranleger und werden dann für knapp 12,60 Euro 5 Minuten lang transportiert. Das ist mit Abstand die teuerste Fährüberfahrt, die ich je erlebt habe. Deshalb waren wir wohl auch ganz alleine am Fähranleger, denn Laboe ist Endstation einer wesentlich längeren Tour, die wir zum selben Preis hätten fahren können. Allerdings hätten wir die Strecke mit dem Rad entlang der Kieler Förde heute definitiv nicht mehr geschafft. Gut vorbereitet wäre uns das wohl nicht passiert. Ach war soll’s.

Es geht weiter und jetzt wird es wirklich extrem wundervoll. Der Radweg führt direkt neben den Dünen entlang. Wir fahren durch Kalifornien und Brasilien. Das Meer ist vom Radweg aus immer zu sehen und wir genießen jeden Tritt in die Pedale. Nur der Wind will es jetzt langsam wissen. Er beginnt, uns von vorne entgegen zu kommen. Wir halten wacker dagegen. Mal sehen, wer den Kampf gewinnt?

Wir schaffen es und brechen erst im Hotelzimmer zusammen. Fast 100 Kilometer waren es heute, davon die letzten 10 mit starkem Gegenwind. Jetzt die Ankunftspose! Füße hoch und im Handy die Route für Morgen planen. Ich liebe diesen Moment. Allerdings kann ich das für heute auch von jedem anderen Moment behaupten. Na ja, bis auf den mit der Regenkleidung vielleicht.

Paare am Weg

Am nächsten Morgen überlege ich kurz, ob ich jetzt mal ganz besonders langsam sein sollte. Dann sieht Matthias, wie das ist mit dem Warten und dann wird er verstehen, wie sehr ich leide. Ach ist das kindisch. Aber ich stehe gerade schon wieder da und bin fertig, während er noch im Bad ist. Ich will nicht wütend werden, warten will ich aber auch nicht.

„Ich geh schon mal runter zum Frühstück“ rufe ich durch die Tür.
„Okay“ kommt es zurück.
Das war doch jetzt eine einfach Lösung, denke ich während ich gemütlich meinen Kaffee schlürfe!

So weit so gut, aber schöner wäre es natürlich, zu zweit zu frühstücken, mault die innere Kritikerin in meinem Kopf. Ich höre sie und beschließe mich jetzt nicht mit ihr zu beschäftigen. Vielleicht morgen, mal sehen.
Matthias kommt gut gelaunt dazu, aber eine gute Lösung muss sich trotzdem anders anfühlen!

Zahlen Daten Fakten

Tag 3 von Gelting über Eckernförde bis Schwartbuck

  • 97 Kilometer 
  • 17 – 20 Grad
  • Wind erst von vorne dann von hinten
  • 482 Höhenmeter
  • 14,3 Durchschnittsgeschwindigkeit
  • 1785 Kalorien
  • 5:55 Stunden Fahrzeit
  • 3:50 Stunden Pause
  • 1 Fähre nach Laboe