Tag 4 Schwartbuck bis Heiligenhafen – die Regenchallenge

Tag 4 Schwartbuck bis Heiligenhafen – die Regenchallenge

30. August 2019 2 Von Manuela

Nieselregen begrüßt uns an diesem Morgen. Fies finde ich den. Er landet als feine, leicht kitzelnde Berührung im Gesicht und an den Händen. Diese Berührung löst ständig den Impuls aus, das Gesicht abwischen zu wollen oder die Hände in die Taschen zu stecken. Außerdem trübt der Regen den klaren Blick durch die Brille – und meine Laune.

Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung, ist ja so ein Klugscheißer-Satz, mit dem man Leute nerven kann. Demnach trage ich heute eindeutig schlechte Kleidung. Alles fühlt sich nass, unbequem und blöd an. Die Hose klebt den den Oberschenkeln und zerrt bei jedem Tritt an den Knien. Die Jacke ist nicht dicht, sodass mir das Wasser den Rücken herunter rinnt. Bis Hohwacht sind insgesamt 19 Kilometer. Die werde ich wohl schaffen aber dann wird definitiv die Kleidung gewechselt!

Hohwacht ist ein kleiner Ort direkt an der Küste. Wir fahren bis zu einem Kreisverkehr am Strand. Riesige Häuser werden hier gerade gebaut, alle mit Blick auf’s Meer. Wird bestimmt mal schön hier. Noch ist davon allerdings nicht viel zu sehen. Graue hohlwangige Rohbauten stehen dicht an dicht. Bauarbeiter sorgen für maximalen Lärm. Grauer Himmel und nach wie vor Regen runden den Eindruck ab.

Wir parken die Räder und gehen einige Meter am Strand entlang zu einem Cafè, das weit genug vom Lärm entfernt ist. Ich stürme mit meinen Packtaschen das Klo! Dort wird die komplette Kleidung getauscht. Und zwar wirklich komplett, sogar Socken und Unterwäsche sind nass geworden. Viel lieber würde ich jetzt das schlechte Wetter tauschen.
Ach Quatsch, stimmt natürlich nicht, das wäre mir dann doch zu viel Verantwortung.

Draußen steht ein Strandkorb, in den wir uns zu zweit kuscheln. Das Klappdach klappen wir nach unten und den Tisch ziehen wir wie eine Decke nah an uns heran. So sind wir endlich vor dem Regen geschützt und können trotzdem draußen bleiben. Wir haben sogar Meerblick.

Kalt, grau, nass und wunderschön liegt sie vor uns, die Ostsee und erstreckt sich bis zum Horizont. Der Kaffee wird serviert und schmeckt sogar. Neben uns quasselt eine Gruppe älterer Touristen belangloses Zeug. Meine Laune steigt von ziemlich mies auf geht so. Gut wird sie leider nicht mehr, denn wir müssen wieder raus in den Regen. Okay, stimmt nicht ganz, wir wollen wir raus in den Regen. Ist schließlich unsere freie Entscheidung.

Schwartbuck bis Heiligenhafen
Das Meer ist auch bei Dauerregen wunderschön

Der Regen bleibt doof

Wenn er summt geht’s ihm gut. Matthias fährt neben mir und summt zufrieden vor sich hin. Wieso hat der gute Laune?
Schließlich befinden wir uns gerade an einer viel befahrenen Straße Richtung Heiligenhafen. Dazu kommt, dass der Radweg hauptsächlich aus wurzelbedingten Beulen und mehr oder weniger tiefen Rissen besteht. Aus dem stichelnden Nieselregen ist ein solider Dauerregen geworden. Die zweite schlechte Kleidung des Tages ist längst nass und genauso unbequem wie die erste.

32 Kilometer sind es von Hohwacht bis Heiligenhafen. Militärisches Sperrgebiet verhindert, dass wir an der Küste fahren können. Dementsprechend geht es immer an der Straße entlang über besagte Radwege. Meine Laune sinkt zurück von geht so auf ziemlich mies. Matthias summt weiter vor sich hin.
„Der Regen nervt“ nörgele ich herum.
„Mich stört der erstaunlicherweise gar nicht“ sagt Matthias.
Ich werde mir irgendwann mal seine Kleidung genauer angucken, denke ich und trample missmutig weiter.

Mir reicht’s

Angekommen in Heiligenhafen finde ich, dass ich mich jetzt genug gequält habe. Ich will mindestens eine Pause.
Zielstrebig fahren wir zum Yachthafen. Vor ein paar Jahren waren wir hier mit Freunden auf deren Segelyacht. Das war ein wunderschönes Wochenende mit ziemlich viel Sonnenschein. Damals wurde im Hafen gebaut und wir haben unseren Freunden ein aktuelles Foto von dort versprochen.

Jetzt ist alles fertig, Beton und neue Häuser befinden sich dort, wo damals noch nichts war. Segler und Touristen, mit und ohne Schirm laufen herum. Wir finden auch hier eine Bäckerei mit Blick auf den Hafen. Ich falle mittlerweile schwer genervt auf den Stuhl.
Es ist extrem laut. Schlechte Akustik trifft auf durcheinander redende Menschen. Im Hintergrund scheint Musik zu laufen, vielleicht ist es auch die Espressomaschine.

Matthias holt uns was zu Essen und ich suche nach einer Unterkunft. Aber wo? Laut Karte ginge es jetzt weiter nach Fehmarn. Aber da wollen wir gar nicht hin. Das schaffen wir zeitlich nämlich nicht und es ist auch schon beschlossene Sache, dass wir nicht auf einer Insel wohnen wollen. Die Karte ist zum Leporello gefaltet und nach Fehmarn geht es auf der Rückseite weiter. Aber ich finde dort den Anschlussort nicht.

Irgendwie müsste ich die Vorderseite mit der Rückseite verbinden, natürlich unter Auslassung von Fehmarn. Ich blättere zurück und dann ganz nach vorne zur Übersichtsseite. Dabei rutscht mir das glitschig beschichtete Ding vom Tisch und entfaltet sich auf dem Fußboden.
„Mistvieh!“ fluche ich. Das Kind am Nebentisch beginnt zu heulen.
Recht hat es!

Ich zücke mein Handy, Google Maps wird mir helfen. Das ist viel übersichtlicher und nicht nur auf einen schmalen Küstenstreifen begrenzt. Handlicher ist es zudem auch noch und ich kann alles bis zum letzten Sandkorn aufzoomen.
Kein Netz lese ich oben links im Display. Arrrgghh!

„Was hältst du davon, wenn wir hier bleiben?“ fragt Matthias und stellt ein Tablett mit leckerem Kuchen und dampfendem Kaffee auf den Tisch.
Hat er gesehen, dass ich den Kampf gegen die Landkarte verloren habe oder kann er Gedanken lesen?
„YEAH!!!“ antworte ich.

Luises Sporthotel

Matthias hat selbstverständlich Netz, wie immer verliert O2 zuverlässig gegen Vodafone. Hilft aber auch nichts. Auf den üblichen Portalen findet sich keine Unterkunft. Ich rufe die Tourist-Information von Heiligenhafen an.
„Tut mir leid, ich habe gerade das letzte Zimmer vermittelt“ sagt die Mitarbeiterin.

Und jetzt? Wir schauen uns fragend an. Noch ist es erst 16 Uhr, draußen regnet es unerbittlich weiter. Mir wird langsam kalt in der falschen Kleidung. Dieser Tag schenkt uns viele blöde Momente. Ich geh erstmal auf’s Klo.

Als ich zurück komme, hat Matthias was gefunden. Hallelujah! Luises Sporthotel hat ein Zimmer mit Frühstück für uns. Es liegt etwas außerhalb vom Zentrum, laut App sind es nur ca. zwei Kilometer. Ein Schwimmbad und eine Sauna gibt es auch. Na dann, nix wie hin.

Die letzten Meter geht es bergauf. Schnaufend kommen wir am eher unscheinbaren Sporthotel mitten im Wohngebiet an. Vor der Tür steht eine Frau mit einem Tablett in der Hand. Sie trägt ein Kleid mit langer Schürze und eine altbackene Haube auf dem Kopf. Fast hätte ich gegrüßt, aber es ist nur eine Puppe.
Der Regen hört auf, na toll! Es gibt also nicht nur schlechtes Wetter, sondern sogar bösartiges Wetter!

Beim Einchecken verhindert eine Hochzeitsgesellschaft die schnelle Schlüsselübergabe. Brav warte ich am mir dafür zugewiesenen Tisch im Restaurant. Hellblaue Tischdecken sind nur die Spitze des 80er Jahre Eisbergs. Der über 50jährige Mann hinterm Hoteltresen trägt einen dazu passenden Oberlippenbart und ein buntes Hemd.

Unser Zimmer im Souterrain ist groß. Es gibt eine cremeweiße Ledersitzgarnitur und einen kleinen Vorraum mit einem Schrank und einer Durchreiche ins Schlafzimmer. So wirkt dieser Vorraum wie eine zusätzliche Rezeption.
Wir haben sogar noch ein weiteres Zimmer mit Etagenbett und eine dem Souterrain entsprechend tiefer gelegte Terrasse . Die Wand gegenüber des Bettes ist mit einem ca. 3 Meter langen und 1 Meter hohen Spiegel geschmückt.
„Das war bestimmt mal so ein Saunaclub, ein anderer Sport fällt mir zu dem Hotel gerade nicht ein,“ sage ich.
Matthias lacht während er meine nassen Sachen über das Etagenbett hängt.

Schwimmbad und Sauna passen ebenfalls zum Saunaclub. Überall Spiegel, auch an der Decke. Das Becken ist klein und auf dem Rand stehen barbusige Steinfiguren, die Wasser aus einem Krug gießen. Der Saunabereich hat eine große Bar. Wir sind allein und so wird der Tag doch noch ziemlich gut.

Paare am Weg

Am Abend machen wir einen Spaziergang ins Zentrum von Heiligenhafen. Es ist klar, dass der Ort als zukünftiger Wohnort zu klein ist. Aber, um den Sonnenuntergang und die frisch gewaschenen Luft zu genießen ist er genau richtig.

„Wenn sie Essen wollen, müssen Sie mindestens ein bis zwei Stunden warten,“ sagt die Kellnerin und reicht uns die Speisekarte.
Wir sind trotzdem hungrig und bestellen.

Die Wartezeit nutzen wir für eines dieser besonderen Gespräche, in denen wir einander zuhören, gemeinsame Pläne schmieden und einfach Spaß aneinander haben. Schön, dass es wirklich zwei Stunden dauert, bis das Essen kommt.

Heiligenhafen bei Nacht
Sonnenuntergang in Heiligenhafen

Zahlen Daten Fakten

Tag 4 von Schwartbuck bis Heiligenhafen

  • 54,9 Kilometer
  • 17 Grad
  •  Dauerregen und Dauerwind von vorne
  • 257 Höhenmeter
  • 14,4 Durchschnittsgeschwindigkeit
  • 1160 Kalorien
  • 3:48 Stunden Fahrzeit
  • 2:45 Stunden Pause
  • 1 Schwimmbad im Sporthotel