Tag 10 Stralsund bis Greifswald – Kopfsteinpflaster
WAS 40 Kilometer Kopfsteinpflaster! Das ist der einzige Radweg von Greifswald nach Stralsund? Ja, sagt die App und Ja, sagt Google. Au weia, das wird ja mal wieder ein spannender Tag.
Aber erstmal gibt es Frühstück. Ich stehe mit der Kaffeetasse auf dem Marktplatz von Stralsund und genieße den Morgen. Noch ist der Platz leer, erste Sonnenstrahlen erhellen das Kopfsteinpflaster. Ob es so ein Kopfsteinpflaster sein wird? So ein erhabenes, richtig altes mit dicken, unebenen Steinen aus der Eiszeit und dramatischen Lücken dazwischen? Wir werden sehen.
Leider hat das Hotel keinen gastronomischen Außenbereich, nicht mal ein Stuhl steht vor der Tür. Könnte man eigentlich machen. Der Hunger treibt mich hinein in den Frühstücksraum.
„Uns erwarten heute 40 Kilometer Kopfsteinpflaster,“ sage ich.
„Wie können wir das vermeiden?“ fragt Matthias.
„Indem wir einfach nach Hause fahren oder schon wieder den FlixBus nehmen“, sage ich.
Wir entscheiden uns für das Kopfsteinpflaster.
Und noch bevor die Wallensteintage beginnen, sind wir auch schon drauf. Es ist flach, ebenmäßig und nur leicht vibrierend. Zwar ist es anstrengender als auf glattem Asphalt zu fahren, aber es scheint gut für die Durchblutung zu sein. Gibt es nicht so komische Rüttelplatten, die richtigen Sport ersetzen? Sowas ist das hier. In Kombination mit richtigem Sport kann das eigentlich nur gut sein.
Keine Kormorankolonie
Nach 20 Kilometern beginnen die Hände taub zu werden. Bei Brandshagen entscheiden wir uns für eine Auszeit von dem Gerüttel und folgen den Schildern Richtung „Kormorankolonie“. Was das wohl ist?
Der Weg dahin ist eine einzige Wohltat, weil er nicht aus Kopfsteinpflaster ist. Er führt uns durch einen Wald bis zu einem großen Gebäude, das wie eine Jugendherberge wirkt. Weit und breit sind keine Menschen zu sehen, Kormorane auch nicht. Wir umkreisen das Gebäude, aber es ist nichts und niemand zu sehen. Die App kennt keine Kormorankolonie und laut Google sind wir schon da.
Statt weiter nach dieser Kolonie zu suchen, entscheiden wir uns für eine Pause am Wasser. Das ist eindeutig eine gute Entscheidung. Da weiterhin keine Menschen zu sehen sind, springe ich mal schnell hinein. Um das Suchen nach der Badekleidung zu vermeiden, verzichte ich darauf.
Wir essen ein paar Brote und sitzen einfach so am Wasser. Der Sand ist angenehm warm und wir vermissen nichts und niemanden.
Ach doch, da war ja noch was. Wir vermissen eine Unterkunft für die Nacht in Greifswald. Wieder einmal zücke ich das Handy und beginne zu suchen. Halbherzig, ohne große Hoffnung öffne ich Booking.com und siehe da. Es gibt ein Doppelzimmer für heute Nacht, das sogar erschwinglich ist. YEAH!
Diese Welle nutze ich und surfe weiter auf ihr. Ich suche nach einem Zimmer in Swinemünde für morgen. Auch das ist schnell gefunden. Pension Viktoria hat Platz für uns und möchte 45,- € für ein DZ inkl. Frühstück.
Ich lasse nicht locker und buche gleich noch für übermorgen eine Übernachtung in Greifswald, gleiches Hotel und zu guter Letzt den FlixBus von Greifswald zurück nach Berlin! Das klappt, die Welle ist gesurft und alles gebucht.
Jetzt ist es klar. Wir werden es schaffen und schon morgen die Ostsee von Dänemark bis Polen geradelt sein. Ich grinse über das ganze Gesicht.
Matthias war in der Zwischenzeit kurz schwimmen.
„Genial,“ sagt er. „Da lässt man dich mal 5 Minuten aus den Augen und du buchst die ganze Reise. Ich habe wirklich die beste Ehefrau von allen!“
Da muss ich ihm ausnahmsweise mal recht geben.
Auch ich springe nochmal ins Wasser. Was für eine Erleichterung, kein Suchen mehr nach irgendwas, nur noch Fahren und genießen. JUHU. Der Rest des Kopfsteinpflasters kann kommen. Und ehrlich gesagt finde ich diese Vibrationen gar nicht sooooo schlimm.
Der Feind
Frisch erholt starten wir die zweite Runde Kopfsteinpflaster. Auf ebenjenem angekommen ist der Gegenwind wieder da. So eine eine treue Seele. Er begleitet uns nun schon seit dem Beginn unserer Reise. Dennoch wir werden niemals Freunde werden, der Gegenwind und ich.
Ganz im Gegenteil. Manchmal möchte ich ihn einfach nur anschreien und ganz schlimm verprügeln oder wenigstens wegschubsen. Doch das beeindruckt ihn wenig. Er bläst und bläst und bläst… Immer langsamer vibrieren wir unserem Hotel entgegen. Hiermit erkläre ich ihn offiziell zum größten Feind dieser Radtour!
Ich hasse ihn wirklich abgrundtief. Anders als bei einem Berg ist beim Gegenwind kein Ziel in Sicht, auch die Erholung beim Hinunterrollen fällt weg. Er hält einfach stetig dagegen, ohne Pause. Vor jedem Richtungswechsel keimt Hoffnung auf, der Wind könnte von der Seite kommen oder sogar von HINTEN!
Aber Pustekuchen, er tut es einfach nicht! Wie kommt das? Was haben wir ihm getan? Matthias erschafft mal wieder Windschatten für mich. Das ist gut! Ich hänge mich erneut an sein Schutzblech und bleibe dran. Hauptsache er bremst jetzt nicht plötzlich. Tut er nicht.
Erschöpft und völlig durchgepustet kommen wir im Hotel an. Es liegt etwas außerhalb von Greifswald und ist ziemlich steril. Aber das Zimmer ist groß und geräumig und hat sogar einen Balkon. Bestimmt lohnt sich ein Ausflug in die Stadt, doch wir verzichten drauf. Denn immer noch beherrscht der Feind da draußen die Luft.
Missmutig knalle ich die Balkontür zu. Der kann jetzt einfach mal die Klappe halten!
Essen beim Chinesen
Natürlich müssen wir trotzdem nochmal raus. Der Hunger treibt uns. Das Restaurant im Hotel hat nichts für uns, denn es ist Ruhetag. Gott wie ich den hasse, den Ruhetag. Er ist der nächstbeste Feind jeder Radtour. Gegenwind und Ruhetag, wenn ich euch erwische, dann könnt ihr echt was erleben!
Wir können ja in die Stadt fahren, schlägt der Mann an der Rezeption vor. Dort gäbe es diverse gute Restaurants. Fahren bedeutet für uns jedoch Radfahren und das kommt im Moment definitiv nicht in Frage. Erst morgen früh wieder.
Es bleibt nur ein chinesisches Restaurant mit Blick auf den Lidl Parkplatz. Okay, entscheiden wir, Hauptsache was zu Essen. Drinnen riecht es nach Chinarestaurant, aber nach Chinarestaurant um 1980. Ist das Glutamat oder Frittierfett? Ich weiß es nicht. Es ist so ein ganz spezieller Geruch, der noch lange in der Nase verweilt, auch nachdem das Essen längst verschlungen ist.
Wir bestellen irgendwas Vegetarisches, das nicht schmeckt. Wir beschließen beim nächsten Mal doch dem Feind ins Auge zu blicken und ein paar Kilometer in die Stadt zu fahren.
Paare am Weg
Zurück im Hotel haben wir immer noch Zeit und genießen den Abend auf dem Balkon. Der Wind hat sich beruhigt.
Vielleicht liegt es an den Vibrationen durch das Kopfsteinpflaster oder einfach an der Urlaubsstimmung. Ich weiß es nicht, es ist auch egal. Was ich definitiv weiß ist, dass Sex sehr oft noch mehr Lust auf Sex macht. Wenn er durch den Alltag in den Hintergrund geraten ist, dann weil das Gegenteil auch stimmt. Wenig Sex macht wenig Lust auf Sex.
Deshalb empfehle ich manchen Paaren in der Beratung auch schon mal das Buch „100 Tage Sex“ von Douglas Brown. Darüber habe ich auch einen Blogartikel geschrieben: 5 Gründe, warum es sich lohnt, täglich Sex zu haben. Natürlich gilt das nicht, wenn es einen tiefer liegenden Konflikt gibt. Dann empfehle ich eine gute Paarberatung.
Wir benehmen uns jedenfalls auf dieser Radtour immer wieder wie ein frisch verliebtes Paar, inklusive der Lust aufeinander. Und das nach fast 20 Ehejahren und ganz viel Alltag, den wir schon gemeinsam gestemmt haben.
Zahlen Daten Fakten
Tag 10 von Stralsund bis Greifswald
- 44,7 Kilometer
- 24 – 25 Grad
- 40 Kilometer Kopfsteinpflaster
- 1 Badesee
- 2 Feinde
- Viel Sex