Tag 6 Uelzen bis Wasbüttel -Meditatives Fahrradfahren
Heute sollte es ein Leichtes sein, die Strecke zu finden. Wir fahren fast 70 Kilometer immer geradeaus am Elbe-Seitenkanal entlang. Fröhlich plappernd folgen wir vom Hotel aus den Radwegschildern. Leider fällt uns erst nach ca. vier Kilometern auf, dass wir offenbar den falschen Schildern gefolgt sind. Es scheint noch weitere Radwege zu geben. Naiverweise haben wir angenommen, es gibt nur den einen Radweg aus Uelzen heraus und zwar den zum Elbe-Seitenkanal. Mal wieder ein Irrtum!
Wir drehen um und fahren zurück nach Uelzen. Ich hasse es den gleichen Weg zurück zu fahren. Aber vier Kilometer sind okay und danach können wir uns ja gar nicht mehr verfahren. In Uelzen starten wir also erneut Richtung Kanal und Radweg.
Es geht durch den Wald mit schlechtem Untergrund und wir finden den Zugang wieder nicht. 10 Kilometer später an der Uelzener Schleuse sehen wir den Radweg von der Brücke aus. Aber das heißt nicht, dass wir auch hinkommen. Schließlich können wir die Fahrräder ja nicht über das Geländer nach unten werfen und dann selbst hinterher springen. Rechts und links geht es über eine große Straße, geradeaus geht es nach Estenholz. Wir fahren geradeaus und finden immer noch keinen Zugang zum Kanal. Stattdessen landen wir – wen wundert’s – in Estenholz! Dort blättern wir erneut in der Karte und versuchen sie mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
Die Karte ist nicht das Gebiet
Dieser Spruch ist sicher jedem Menschen bekannt, der schon mal mit NLP in Kontakt gekommen ist. Als ich ihn das erste Mal im Seminar hörte, habe ich weise genickt. Ist ja logisch. Wirklich verstehen kann ich ihn jetzt. Jetzt, wo die Karte einen geraden Radweg immer entlang des Elbe-Seitenkanals zeigt und das Gebiet ein kleines Dorf ganz ohne Radwegschild ist. Beides passt einfach nicht zusammen. Bin ich wirklich zu blöd, um eine Karte zu lesen? Wie finde ich den richtigen Weg?
Wir drehen zum zweiten Mal an diesem Tag um und fahren zurück zur Schleuse. Wieder gibt es keinen Hinweis und auch keinen Weg hinunter. Es gibt nur ein Schild, das den Weg nach Bad Bodenteich, dem nächst größeren Ort am Elbe-Seitenkanal weißt. Aber das ist ein Autoschild. Wir folgen in unserer Verzweiflung diesem Schild und fahren ein bis zwei Kilometer an der viel befahrenen Bundesstraße OHNE Radweg.
Dann verlieren wir die Nerven und fahren rechts runter in ein kleines Dorf. Es gibt hier den Elbe-Seitenkanal und an diesem Kanal muss es einen Radweg geben, wenn nicht würde es für uns bedeuten, dass wir 50 Kilometer an dieser Straße weiter fahren. Das wäre ein Grund, die Tour jetzt und hier abzubrechen. Der Radweg ist absolut tourentscheidend.
Die Frau, die gerade im Garten ihre Rosen schneidet macht uns Mut, denn sie bestätigt uns, dass es den Radweg gibt. JUHU es gibt ihn also nicht nur auf der Karte sondern auch im Gebiet. Allerdings berichtet sie von einer Böschung und einem schwierigen Einstieg auf den Weg, vor allem mit Fahrrädern. Egal, wir freuen uns trotzdem und wir finden den Radweg sogar anhand ihrer Beschreibung.
Also erstmal finden wir die Böschung. Ich gehe allein hoch und schaue, ob da oben wirklich der Radweg ist. Der Anstieg ist schon ohne Fahrrad beschwerlich. Oh je! Trotzdem ist der Jubel groß, als ich oben ankomme. Dort ist er, der Fahrradweg! Er ist gut befahrbar, direkt am Kanal und zieht sich in beide Richtungen bis zum Horizont. Genial. Also rauf mit den Fahrrädern.
Natürlich dauert das ein bisschen. Wir schleppen erstmal die Packtaschen hoch und dann müssen wir zu zweit vor allem das schwere E-Bike die Böschung hochwuchten. Wir ziehen es beinahe über die Grasnarbe. Hoffentlich ist der Ausstieg später nicht so beschwerlich.
Meditatives Fahren – Wind
Einmal oben ist es herrliches Radfahren. Es geht wirklich nur noch geradeaus, kein Abzweig, kein Schild, nicht mal Gegenverkehr. Wir sind allein mit dem Kanal und ein paar wenigen Frachtschiffen. Alles ist wunderbar. Die Autos sind weit entfernt und auch sonst jede Ablenkung fehlt. Nebeneinander geht es nicht, dafür ist der Weg zu schmal und so fahren wir hintereinander und können völlig entspannt nur den eigenen Gedanken nachhängen. Die frische Luft und die Bewegung sind pure Meditation.
Immer mal wieder überholen wir das Frachtschiff „Freya“, das uns in jeder Pause wieder einholt, danach fahren wir wieder an ihm vorbei. Bei jeder Begegnung frage ich mich, wie sie das Auto dort am Ende des Schiffs wohl geparkt haben. Vielleicht kann man die Plattform drehen oder ein Kran hebt das Auto hinauf?
Feuer in Schöneworden
Fast könnte man denken, es sei langweilig immer nur geradeaus zu fahren. Wenn es jetzt bis ins Allgäu so weiter ginge, wäre es das sicher auch. Aber diese 53 Kilometer sind großartig!
Irgendwann entdecken wir tiefschwarze Wolken am Himmel, in denen wir zunächst ein Unwetter vermuten. Schnell wird jedoch klar, dass es sich dabei um riesige Rauchwolken handelt. Laut Karte sind wir wahrscheinlich auf der Höhe von Schöneworden. Dort brennt es! Wir hören mehrmals die Feuerwehr und später sehen wir sie auch über eine Brücke rasen. Zum Glück ist der Brand auf der anderen Seite des Kanals, bedrohlich wirkt er trotzdem. Bei Google versuchen wir noch heraus zu finden, was dort wohl passiert ist, aber wir finden keinen Hinweis.
Für uns bleibt es beim meditativen Fahrradfahren immer am Elbe-Seitenkanal entlang. Ich glaube, dass uns auf der gesamten Strecke vielleicht 5 bis 10 andere Radfahrer begegnet sind, ansonsten sind wir allein mit Freya, dem Kanal und dem Wind.
Wind ist so eine Sache
Wer schon mal Fahrradtouren gemacht hat, weiß, dass der Wind keinesfalls gerecht aus allen Richtungen kommt. Er ist vielmehr meistens entgegenkommend! Hier auf dem Kanal kommt er schräg von vorne und wären da nicht die Büsche, die fast durchgängig neben dem Radweg gepflanzt wurden, läge entweder das Fahrrad oder ich mit dem Fahrrad längst im Kanal. Alleine wäre es dort, weil ich es vor Wut hingeschmissen hätte. Zusammen wären wir dort, weil eine Windböe uns dort platziert hätte.
Ich bedanke mich von ganzem Herzen bei dem Menschen, der diese Büsche dort gepflanzt hat! Das ist wirklich eine Großtat, die eigentlich ein Verdienstkreuz braucht. Wer entscheidet eigentlich über die Vergabe von Verdienstkreuzen? Ich hätte da einen Vorschlag.
Wasbüttel – klingt komisch, ist es auch!
Wir fürchten schon, dass wir uns mit den Rädern am Ziel jetzt die Böschung hinab rollen müssen, entdecken dann aber eine Treppe, die uns direkt auf die Straße nach Wasbüttel führt. Dort wollen wir hin. Schon will ich die Ärmel wieder hochkrempeln und die Räder und Taschen in Einzelteilen hochschleppen, als zum Glück ein Radfahrer vorbei kommt, der uns den hilfreichen Hinweis gibt, dass es weiter vorne einen Feldweg gibt. So gelangen wir ohne Treppen nach Wasbüttel.
Schon in der Mittagspause hatten wir telefonisch eine kleine Pension reserviert. Die Vermieterin teilte uns mit, dass sie nicht da sei. Sie müsse mit einer Freundin shoppen gehen, würde uns aber den Schlüssel neben den Blumenkasten legen. Hätten wir da schon stutzig werden sollen? Ja!
Wir kommen an. Es ist ein stillgelegter Bauernhof, der aus mehreren Gebäuden mit großen Türen und wenig Fenstern besteht. Der große Hof ist gepflastert, es gibt einige Blumentöpfe. Wir suchen und finden den Schlüssel und haben somit Zugang zu allen Räumen des Hauptgebäudes. Jetzt könnten wir jede Menge anstellen, z.B. in den fremden Schubladen wühlen, was ich als Kind wirklich gerne gemacht habe oder uns etwas zu Essen kochen, hungrig genug sind wir.
Natürlich gehen wir brav auf unser Zimmer, beziehen sogar die Betten selbst und machen uns auf den Weg, um noch etwas zum Essen zu finden. Wir befinden uns in einem sehr, sehr einsam gelegenen Dorf und fragen eine junge Frau mit Hund. Unsere Vermieterin können wir aufgrund von Abwesenheit nicht nach solch essentiellen Details fragen.
Die junge Frau bestätigt, was wir schon ahnen. Hier gibt es nichts und der Bäcker, den es theoretisch gibt, hat Urlaub, bis übermorgen. Sie weist uns noch auf eine Kneipe hin, die wahrscheinlich geschlossen ist.
Wir versuchen unser Glück trotzdem und tatsächlich ist die Kneipe geöffnet. Zwei einsame Kerle sitzen am „Daddelautomaten“ (so heißt es auf norddeutsch) und ein freundlicher älterer Mann steht hinterm Tresen. Die Fenster sind klein, es ist dunkel und vor der Tür gibt es nichts außer einem Betonplatz ohne Tische und Stühle. Essen gibt es natürlich auch nicht. Wir kaufen eine Flasche Rotwein und verschwinden wieder in unserer Pension. Dort setzen wir uns mit der Flasche an den Tisch im Hof.
Als wir gerade betrunken werden wollen, kommt die Vermieterin doch noch nach Hause und zeigt uns die Hose, die sie für 9,85 € zum Schnäppchenpreis erstanden hat. Die Hose ist im Leopardenlook gemustert und die Vermieterin unglaublich redselig. Schon nach 20 Minuten wissen wir, wo ihr Mann gearbeitet hat, wieviel ihre Kinder verdienen und dass sie unser Geld eigentlich nicht braucht. Sie bekommt eine gute Rente. Zum Schluss erfahren wir noch, dass das Zimmer doppelt so teuer ist wie gedacht und selbstverständlich kein Frühstück beinhaltet.
Wir bezahlen so schnell wie möglich, schnappen unsere Flasche und fliehen auf‘s Zimmer, denn am nächsten Tag müssen wir früh starten, um uns vor dem drohenden Hungertod zu retten.
Schon um 7 Uhr sitzen wir auf dem Sattel. Die Vermieterin klopft noch an die Fensterscheibe und will uns wenigstens einen Kaffee servieren, wir verzichten dankend. In Meine gibt es einen guten Bäcker und leckeres Frühstück. Wasbüttel liegt hinter uns, was für ein Glück.
Paare am Wegesrand
Beim Frühstück sitzt ein Paar am Nebentisch, deren weiblicher Teil auch unsere Vermieterin sein könnte. Sie redet, er schweigt. Sie erinneren mich an Little Britain. Irgendwann wird er zu ihr sagen: „Du hast mein Leben ruiniert“. So ist es jedenfalls in der Serie.
Sie sucht das Gespräch mit uns, er sagt ja nichts. Natürlich will sie wissen, wo wir hinfahren und wo wir herkommen und so weiter. Wir antworten zwei Sätze und dann erklärt sie uns die Welt. Sie weiß genau, wie wir weiter fahren müssen und bei wem wir in Wasbüttel waren und warum das ein Fehler war. Sobald wie möglich flüchten wir heute zum zweiten Mal auf das Rad. Wir sehnen uns nach der Einsamkeit des Elbe-Seitenkanals, der jetzt der Mittellandkanal ist. Mittellandkanal war übrigens das einzige Wort, das der Mann zur Unterhaltung beitrug. Recht hat er.
Zahlen Daten Fakten
6. Tag von Uelzen nach Wasbüttel
- 86,24 Kilometer
- Starker Gegenwind von der Seite
- 15 – 21 Grad
- 150 HM
- Kein Essen
Hallo,
sehr schöner Bericht über die Fahrradtour.
Wenn Ihr nochmals am Elbe-Seitenkanal unterwegs seid, dann schaut doch einfach im Bereich zwischen Weißes Moor und Tankumsee vorbei. Dort haben wir ehrenamtlich ein über 110 km großes touristisches Radwegenetz entstehen lassen. Der Elbe-Seitenkanal wurde natürlich mit eingebunden. Und vernünftige Unterbringungen haben wir auch in unserer Gegend.
Das klingt spannend. Danke für den Hinweis und herzliche Grüße