Tag 18 und 19 Oberstdorf bis Hannover – Finale
Vorhersagen
Erste Hinweise gibt es schon vor dem Frühstück. Die Frau an der Rezeption spricht von Gewitter in den Bergen. Wir schauen aus dem Fenster und sehen Sonnenschein ohne Wolken bei 18 Grad.
„In den Bergen ist für heute Nachmittag Gewitter angekündigt“, erzählen uns auch die Menschen am Nachbartisch beim Frühstück.
Bis dahin wollen wir längst im Yakuzzi sitzen und mit Champagner anstoßen.
Entspannt gehen wir die letzte Etappe an. Es ist relativ früh am Morgen und mit uns machen sich noch andere Radfahrer auf den Weg nach oben. Alles ist gut.
Klar ist es anstrengend, schließlich fahren wir 800 Höhenmeter. Aber sie sind gut zu fahren und meine Schlangenlinientechnik bewährt sich ein weiteres Mal.
Warnungen und Gewitter
Weit haben wir es schon geschafft. Jetzt sind es nur noch 5 Kilometer bis zum Haldenwanger Eck. Eine Hütte lädt zur Pause ein.
Eine ältere Dame mit E-Bike, ein Paar mit Kleinkind und ein junger Mann sitzen bereits vor der Hütte und machen Pause.
Drinnen sitzt eine Frau hinter der Essensausgabe. Die Fenster sind klein und mit Gardinen verhüllt, ein Blick auf die Berge ist unmöglich. Die Frau liest Zeitung und raucht. Es gibt Bier, Kaffee und Kuchen, sonst nix.
Wieder draußen beginnt sich das Wetter zu verschlechtern. Die ältere Dame fragt wo wir hinwollen. „Das würde ich jetzt nicht machen“, sagt sie nachdem wir ihr das Ziel verraten haben. „Das Wetter wird schlecht und Gewitter in den Bergen ist gefährlich.“
Tatsächlich beginnt es jetzt zu regnen. Wir quetschen uns mit den anderen Gästen unter das Vordach, denn in der Hütte gibt es keine Sitzplätze. Im Tal blitzt und donnert es. Der Weg nach oben sieht noch gut aus, finde ich.
Immer mehr Wanderer und Radfahrer kommen von oben runter.
Wir zögern. Sollen wir etwa 5 Kilometer vor dem Ziel aufgeben? Nein!
Es hört auf zu regnen und wir wagen es. Wir fahren weiter.
An der nächsten Hütte, die gar nicht bewirtet ist, sind es nur noch 3 Kilometer bis zum Haldenwanger Eck. Jetzt müssen wir die Fahrräder allerdings abstellen. Der Weg ist zu steil und unbefahrbar. Ein Radfahrerpaar, das sich unterm Vordach der Hütte untergestellt hat, kennt sich mit dem Wetter in den Bergen auch nicht aus. Sie wollen nur noch runter und warten hier die letzten Tropfen ab.
Klar haben wir Angst, aber können wir 3 Kilometer vor dem Ziel aufgeben? Nein!
Wir schließen unsere Fahrräder an und gehen weiter nach oben. Nur noch die Murmeltiere begleiten uns. Steinig und steil geht es weiter, wir überspringen einen kleinen Bach. Ein Schild zeigt uns an, dass wir die Grenze nach Österreich überqueren. Das war aber klar, denn hier verläuft der Weg im ZickZack zwischen Österreich und Deutschland. Der südlichste Punkt Deutschlands liegt dann natürlich wieder in Deutschland.
Der Himmel wird immer dunkler. Es fängt an zu nieseln und dann donnert es laut, direkt über unseren Köpfen, danach blitzt es. Mit vor Schreck geweiteten Augen starren wir uns.
Können wir 1,2 Kilometer vor dem Ziel aufgeben? JA!!!
Abbruch
Es reicht! Wir haben alles probiert und sind mehrmals über unsere Angst hinweg gegangen. Jetzt ist das Gewitter direkt über unseren Köpfen, wir kehren um.
An der Hütte treffen wir auf weitere Gestrandete. Zwei Frauen wollten noch über den Schrofen Pass und drei Männer sind zu Fuß und mit Zelten unterwegs. Alle brechen ab.
Der Regen wird stärker, wir warten unter dem Vordach und sind echt traurig, sogar ein paar Tränen kullern. Doch uns bleibt nichts anderes übrig als uns der höheren Gewalt zu beugen. Jeder weiß, dass Gewitter in den Bergen gefährlich ist. Wir kommen vom platten Land und haben keine Erfahrung mit dem Wetter in den Bergen. Wer weiß, wie sich das noch entwickelt.
Als der Regen schwächer wird, drehen wir um.
Ende
Wir fahren runter. Es geht leicht, obwohl wir die Räder nicht einfach rollen lassen können. Der Weg ist nass, kurvig und immer von Wildgittern unterbrochen. Kalt ist es auch und wir freuen uns auf die Sauna.
Nach einer dreiviertel Stunde sind wir runter vom Berg. Hier ist es trocken und es sieht so aus, als hätten wir uns das Gewitter nur eingebildet. Fies!
Als wir abends wieder in unserem Yakuzzi sitzen, blicken wir uns stolz in die Augen und trösten uns gegenseitig mit diesen drei Argumenten:
- wir haben die Strecke, die mit dem Fahrrad zu fahren ging, geschafft
- wir waren sogar schon in Österreich
- wir kommen wieder und dann geht’s bis zum Haldenwanger Eck
Schade ist es zwar ein bisschen, aber wir sind dennoch stolz und zufrieden. Jetzt freuen wir uns auf die Heimreise mit der deutschen Bahn.
Zahlen Daten Fakten
Tag 18 von Oberstdorf bis fast zum Haldenwanger Eck
- 36,73 Kilometer
- 12 bis 25 Grad
- 800 Höhenmeter
- 39,7 maximale Geschwindigkeit
- 15,4 durchschnittliche Geschwindigkeit
- 1 Gewitter
Tag 19 – Travelling with Deutsche Bahn
Die Deutsche Bahn ist für Radreisende eine Bereicherung UND eine Herausforderung. Sie bereichert uns, denn wir schaffen es bis nach Hannover in knapp 8 Stunden, das wäre ohne die Bahn nicht möglich. Sie fordert uns heraus, weil wir die Räder an die Decke hängen dürfen und beim Aussteigen kolibriartig alle Taschen aus dem Zug pfeffern müssen, um dann die Räder und uns selbst hinterher zu werfen. Es muss schnell gehen denn wir sind nicht die einzigen, die aussteigen wollen. Einsteigen wollen auch wieder welche.
Selbstverständlich haben wir eine Verspätung wegen technischer Defekte und anderer Kleinigkeiten. Und so geht es mit dem Fahrgastrechteformular in der Tasche zurück nach Hause.
Der Zipfelbund
Definitiv möchte ich wieder so eine Tour machen. Als nächstes steht dann die Strecke von West nach Ost oder umgekehrt an. Also von Görlitz nach Selfkant.
Dann werde ich vielleicht in den Zipfelbund aufgenommen. So nennt sich der Zusammenschluss der vier Zipfelgemeinden in Deutschland. Ein Zipfel ist in diesem Zusammenhang ein aus einem Territorium eines Landes hervorragendes Gebiet.
Hervorragend war es tatsächlich!
Paare am Wegesrand
Das Paar, das uns den ganzen Weg begleitet hat, waren natürlich wir beide. DANKE Astrid, dass du das Abenteuer mit mir gewagt hast. Wer hätte das damals gedacht, als wir uns mit 5 Jahren kennen lernten. Schön war es und ich freue mich auf alles, was noch auf unserem gemeinsamen Weg liegt.
Zahlen Daten Fakten
Tag 1 bis 19 mit dem Fahrrad durch Deutschland von Sylt bis ins Allgäu
- 1.449,32 Kilometer
- im Schnitt 85,25 Kilometer pro Tag
- längste Strecke 121,94 Kilometer
- kürzeste Strecke 36,73 Kilometer
- maximale Geschwindigkeit 49,8 KmH
- minimale Geschwindigkeit 4,3 KmH
- Kosten pro Person 1.724,35 € (das muss noch günstiger gehen)
- abzüglich 28,80 € Erstattung von der Deutschen Bahn
- 0 Pannen!
- 0 Streit
- 17 mal verfahren, daraus resultierend 17 Umwege
gerne habe ich mitlesen, ihr seit die echten Helden auf dem Rad 🙂
Ohne dich hätten wir es nicht geschafft 🙂
Liebe Manuela,
es hat mir viel Spaß gemacht deinen Reisebericht zu lesen. Ich ( 55 J)Fahre selber Rad und habe dieses Jahr meine 1. Radreise gemacht. Allerdings nur Von Flensburg bis Lübeck! War auch schön!
Ziehe meinen Hut vor eurer Tour und freu mich auf den Bericht nächstes Jahr von Ost nach West!
Liebe Grüße Anke
Liebe Anke, DANKE für deinen Kommentar. Auch Flensburg bis Lübeck ist ein Anfang… Ich freue mich auch schon auf die nächste Tour und berichte gerne wieder! Herzliche Grüße – Manuela